Staat, Wirtschaft und Menschheit
Infolge der Weltwirtschaftskrise von 1929 und hoher Arbeitslosigkeit kam in Deutschland der Nationalsozialismus an die Macht. Auch heute drohen den Regierungen die politischen und die wirtschaftlichen Belange aus den Händen zu gleiten. Zudem sind unsere Lebensgrundlagen durch die Erderwärmung bedroht.
Die Wirtschaft ist weltweit schon so sehr gewachsen, dass sie eine das Leben der Menschheit bedrohende Menge an klimaschädlichen Gasen ausstößt. Sie wird sich aus eigenem Antrieb nicht genügend umstellen. Denn die Unternehmen und die Länder stehen in einem harten wirtschaftlichen Wettbewerb untereinander. Die weltweiten sozialen Unterschiede bergen weiteren Zündstoff in sich.
Fatal ist, dass die herrschende Lehre der Makroökonomik Wirtschaftswachstum für notwendig und den Staat für nicht kompetent erklärt, den Ablauf der Wirtschaft zu steuern. Unter dem neoliberalen Markenzeichen werden sogar die Ökonomen gewarnt, dem Staat Ratschläge in dieser Richtung zu geben, weil man die inneren Zusammenhänge der Wirtschaft noch immer nicht verstehen würde (s. Anhang). So kommt man über Notbehelfe wie die Niedrigzinspolitik und die Geldschwemme durch die Europäische Zentralbank nicht hinaus.
Die Menschheit darf aber weder durch das Bevölkerungswachstum noch durch das Wirtschaftswachstum zum Krebsgeschwür werden, das so lange wächst, bis es sein Opfer und damit sich selbst zerstört. Ein Teil der Menschheit muss bereit sein, auf immer noch mehr Wohlstand und auch auf manchen Luxus zu verzichten. Noch mehr ist die Politik gefordert. Dazu benötigt sie dringend ein verbessertes Modell der Wirtschaft, das ein besseres Verständnis des ‚Wirtschaftsmotors’ ermöglicht und dem Staat Möglichkeiten erschließt, den Gang der Wirtschaft den heutigen Anforderungen anzupassen. Dieses Modell der Wirtschaft soll im Folgenden schrittweise aufgebaut werden. Die Bilder dazu sind meinem Buch ‚Im Licht der Geldströme‘ [4] entnommen.
Das Wirtschaftsmodell der Physiokraten
Dieses Modell wird im Buch von Kromphardt ‚Grundlagen der Makroökonomie’ [2] gezeigt, aber nicht weiter entwickelt. Bild 2.3.1 zeigt dieses Modell mit einigen Ergänzungen: Links wurden der Kapitaleinsatz und rechts die zugehörigen Vermögenseinkommen (in Klammern) dazu gefügt. Und es wurden Märkte eingezeichnet, die von den entsprechenden Geld- bzw. Güterströmen durchströmt werden. Zudem vergrößert ein Teil des Produktionsapparats, die Banken, bei Bedarf die Geldmenge.
Man sieht hier einen Kreislauf des Geldes und auch einen Kreislauf von Gütern, wenn man annimmt, dass ‚oben’ Arbeitsleistung in Konsumgüter verwandelt wird und ‚unten’ Konsumgüter eingespeist werden und dadurch Arbeitsleistung hervorgebracht wird.
Eine Erweiterung des Modells mit Arbeitgebern und Arbeitnehmern
In das Wirtschaftsmodell der Physiokraten sollen nun weitere grundlegende Aggregate und Vorgänge eingebaut werden. Im Bild 2.5.1 sind die Verbraucher aufgeteilt in Arbeitnehmer und Unternehmer + Eigentümer (des Produktionsapparats), und es ist ihre jeweilige Interessenvertretung eingezeichnet. Es ist von großer Bedeutung, wie die Einkommen aufgeteilt werden. Rechts enthält das Bild Zahlen in Milliarden Euro für Deutschland für das Jahr 2014.
Eine Volkswirtschaft mit Ersparnissen
Diese Volkswirtschaft ist nicht im Gleichgewicht, weil ein Teil der Verbraucher, in Bild 3.1.1 die Sparer, nicht ihr ganzes Einkommen wieder für den Konsum ausgeben. Es entstehen Geldvorräte, die die Geldmenge im Kreislauf verkleinern. Sie können stillgelegt werden oder in andere Länder abwandern. Auf der Güterseite gibt es zunächst eine Überproduktion. Danach werden die Unternehmen die Produktion zurückfahren, oder einzelne Unternehmen werden ausscheiden. Es kann zum Abbau von Arbeitsplätzen kommen, was die Konsumausgaben weiter reduziert und auf eine Abwärtsspirale zusteuert.
Eine Volkswirtschaft mit Investitionen
Der klassische Weg, auf dem gespartes Geld in den Kreislauf zurückgeführt wird, sind die Investitionen, wie Bild 3.2.1 zeigt, wobei die Investitionen Netto-Investitionen sein sollen. Die durch den Konsumverzicht frei gewordene Produktionskapazität dient jetzt der Erzeugung von Investitionsgütern. Damit wird der Produktionsapparat vergrößert und modernisiert.

Das Eigentum am Produktionsapparat
Durch das Investieren werden die Sparer Miteigentümer des Produktionsapparats. Es ist nun allerdings nicht nur der aktuelle Zuwachs am Produktionsapparat durch Sparen und Investieren entstanden, sondern der gesamte Produktionsapparat. Daher gehört den Sparern der ganze Produktionsapparat, was der schwarze Pfeil in Bild 3.3.1 andeutet. Die Eigentümer des Produktionsapparats werden ‚Reiche’ genannt.
In der Realität gibt es zwar ein Spektrum zwischen ganz arm und ganz reich. Die gewählte Darstellung ist aber eine nützliche Vereinfachung. Mit dem Aggregat Reiche innerhalb des Aggregats Verbraucher können wichtige Vorgänge im Modell dargestellt werden. Wenn die Banken Kredite für Investitionen gaben, haben auch sie Forderungen an den Produktionsapparat.
Eine Volkswirtschaft mit Exportüberschuss
Da sich Export und Import in gewisser Weise aufheben, wird hier nur der Exportüberschuss betrachtet, in Bild 3.4.1 aber vereinfacht Export genannt. Gibt es keinen Exportüberschuss, liegt Außenhandelsgleichgewicht vor.
Ein Land mit Importüberschuss lebt, wie man oft sagt, über seine Verhältnisse, während das Land mit Exportüberschuss ‚unter seinen Verhältnissen’ lebt. Es verbraucht weniger, als es produziert. Es gibt also eine Überproduktion wie in Bild 3.1.1. Sie entsteht, weil Verbraucher, die gut verdienen, nicht ihr ganzes Verdienst wieder für den Konsum ausgeben, sondern Konsumverzicht leisten (also ‚unter ihren Verhältnissen’ leben). Im Bild 3.4.1 fließen ihre Ersparnisse ins Ausland, das damit die Überproduktion / die Exportgüter kauft. Dabei verschuldet sich das Ausland an die Sparer bzw. an die Reichen, was der schwarze Pfeil im Bild andeutet.
Vereinfacht geschieht Folgendes: Der Überschuss des Produktionsapparats fließt ins Ausland. Es verschuldet sich dabei an den Produktionsapparat und damit an die Reichen des Exportlandes, denen ja der Produktionsapparat gehört. Die ausführlichere Darstellung lässt aber besser die Ähnlichkeit zwischen den beiden Vorgängen Investitionen und Exportüberschuss erkennen.
Durch den Exportüberschuss wird ein Problem gelöst, das durch Ersparnisse und Überproduktion entsteht, indem die Ersparnisse wieder in den Geldkreislauf zurückgeführt werden. Damit werden Arbeitsplätze gesichert und eine Rezession oder Krise vermieden. Es können dabei aber andere Länder in die Schuldenfalle geraten. Auch die Banken im Bild 3.4.1 können durch den Exportüberschuss in eine Schieflage kommen. Innerhalb der EU kauft die EZB Staatspapiere von wirtschaftlich schwachen Ländern auf, um ihnen zu helfen.
Eine Volkswirtschaft mit Staatsverschuldung
Hier stabilisiert der Staat die Wirtschaft, indem er sich Ersparnisse leiht (Staatsanleihen auflegt) und damit die Nachfrage vergrößert und den Geldkreislauf wieder schließt. Wir nennen das Keynes-Aktivität des Staates. Sie wird auch deficit spending genannt und ist allgemein als Werkzeug der Wirtschaftspolitik anerkannt, um eine Krise abzuwenden oder aus ihr herauszukommen. Es entstehen dabei aber hohe Forderungen gegen den Staat, die Staatsverschuldung. Sie wird in Bild 3.5.1 veranschaulicht durch den schwarzen Pfeil.
Der Staat kann auch staatliches Eigentum verkaufen (es privatisieren). Auch dadurch erhält er Ersparnisse, die er dann in den Geldkreislauf zurückführen kann. Diese Aktivität endet aber spätestens dann, wenn es nichts mehr zu privatisieren gibt. Die Ersparnisse der Reichen durch Steuern abzuschöpfen, hat denselben Effekt, nur ohne das Anwachsen der Staatsverschuldung.
Auf der Güter-Seite entsprechen den Keynes-Ausgaben die Keynes-Mehreinkäufe. Dabei tätigt der Staat mehr ‚Einkäufe’, als ihm seine Steuereinnahmen erlauben. Die ‚Einkäufe’ sind alles das, wofür der Staat Geld ausgibt.
Das zusammengesetzte Kreislaufmodell
Es ist in Bild 4.1.2 dargestellt. Wie beschränken uns hier auf die Geldströme. Die Summe der Geldströme, die in den Produktionsapparat mündet, kann näherungsweise als das Bruttoinlandsprodukt BIP verstanden werden. Dieses BIP enthält zunächst die Investitionen, den Exportüberschuss und die Keynes-Ausgaben aus den drei vorhergehenden Bildern. Dann wurde eine private Verschuldung hinzugefügt, die hier dieselbe Wirkung hat wie die Staatsverschuldung. Des Weiteren kam der Geldstrom ‚Sponsoring und Spenden’ dazu, der ebenfalls zu Nachfrage wird und damit zum BIP beiträgt.
Als Letztes wurden die Konsumausgaben unterteilt in die (Basis-) Konsumausgaben links im Bild 4.1.2 und die beiden Konsumausgaben, die vom Staat finanziert werden. Diese unterscheiden sich durch ihre Finanzierung: Die Basis- Steuern* (= Steuern + Gebühren – Subventionen) werden von allen Verbrauchern bezahlt, die sozialen Steuern* reduzieren die Ersparnisse der Reichen. Wir nehmen an, dass sie zur Finanzierung der Netto- Sozialleistungen verwendet werden.
Oben im Bild 4.1.2, scheinbar außerhalb, ist die im System befindliche Geldmenge M1, die sich aus verschiedenen Gründen vergrößern und verkleinern kann. Unten unter ‚Geldvorräte’ ist ein möglicher Leckverlust angedeutet. Die Stärke der Geldströme kann die Statistik liefern.
Dieses Modell kann in Einzelheiten noch verbessert werden. Aber es ermöglicht bereits ein wesentlich besseres Verständnis der wirtschaftlichen Zusammenhänge. Und es zeigt der Politik, an welchen Stellen sie mit welcher Wirkung eingreifen kann. Damit kann sie die anstehenden Aufgaben lösen.
Den Bedrohungen begegnen
Eine ‚gealterte’ Wirtschaft ist krisengefährdet durch den Mangel an Nachfrage. Denn ihr Produktionsapparat ist stark entwickelt, kann also jede Nachfrage befriedigen, und liefert reichlich Vermögenseinkommen. Diese Vermögenseinkommen wollen die Empfänger im Wesentlichen nicht für den Konsum ausgegeben, sondern gewinnbringend investieren. Finden sich im Inland keine profitablen Investitionsmöglichkeiten, wird das Geld stillgelegt, oder es wandert über die internationalen Finanzmärkte ab.
Für genügend profitable Investitionsmöglichkeiten kann nur noch gesorgt werden durch Steuersenkungen, Sozialabbau und Abbau der Umweltstandards. Und durch Erhöhung der Nachfrage auf Pump. Damit werden aber die Probleme nur kurzfristig gelöst und andere Probleme geschaffen. Die Erhöhung der Nachfrage durch eine Immobilienblase führte zur Finanzkrise von 2008. Eine Erhöhung der Nachfrage durch Staatsverschuldung stößt an Grenzen. Sozialabbau und Abbau der Umweltstandards sind wie das Absägen des Astes, auf dem man sitzt.
Die gealterte Wirtschaft ‚muss’ also wachsen, wächst aber nur, wenn der Staat, also die Politik, zu kurzfristig wirksamen, aber langfristig schädlichen Mitteln greift. Und Wachstum bedroht auch die Lebensgrundlagen. Allein ein Wachstum der Umwelttechnik ist noch weltweit notwendig. Aber dorthin fließen die Investitionen nur, wenn der Staat die richtigen Weichen stellt. Die Politik muss die Wirtschaft aus dem Wachstumszwang befreien, um die Zerstörung der Umwelt zu stoppen. Sie muss zugleich die soziale Dissoziation stoppen und eine Krise verhindern.
Zwischen den Ländern muss das Prinzip Konkurrenz durch das Prinzip Zusammenarbeit ergänzt werden. Die Stabilisierung der eigenen Wirtschaft durch einen Exportüberschuss ist nicht der richtige Weg, denn er destabilisiert die Wirtschaft anderer Länder. Es darf keine Steuersenkungen (die zum Steuersenkungswettbewerb führen) mehr geben, um Kapitalabfluss zu verhindern und Kapital anzulocken. Versuchen einzelne Länder, sich weiterhin Vorteile auf Kosten anderer Länder zu verschaffen, können Wirtschaftssanktionen, Zölle und Kapitalverkehrskontrollen gegen sie engesetzt werden.
Wie das Wirtschaftsmodell nach Bild 4.1.2 zeigt, muss ein Teil der Ersparnisse und damit investitionsbereites Geld durch Besteuerung in konsumbereites Geld verwandelt werden. Das beseitigt den Wachstumszwang und ermöglicht es, das Wachstum in geordneten Bahnen zu halten. Ein Wachstumszwang durch steigende Arbeitsproduktivität kann durch Arbeitszeitverkürzung beseitigt werden. Damit kann der Staat das Primat über die Wirtschaft zurückgewinnen und durch verantwortungsvolle Politik die sozialen und ökologischen Probleme lösen. Deutschland als wirtschaftliche Großmacht mit enormem Exportüberschuss kann hierbei eine Vorreiterrolle übernehmen.
Anhang
Der Lauf des ‚Wirtschaftsmotors’ wird noch nicht richtig verstanden. Das sagte der amerikanische Ökonom Milton Friedman (1912–2006). Ihm wird im Buch von Blanchard und Illing [1] Recht gegeben. Dort wird er in Kapitel 1.7 wie folgt zitiert: ‚Die Makroökonomen und damit auch die politischen Entscheidungsträger, die sich auf den Rat der Makroökonomen verlassen, wissen wenig. Deshalb sollten sie auch wenig tun.‘ Nur bei einer Krise sollen sie die Banken retten. Untermauert wird diese Forderung mit einem Bild, das als Bild 1.7.1 in [4] vereinfacht wiedergegeben ist. Es zeigt Kurven, die von verschiedenen Programmen berechnet wurden, und die einen beeindruckenden Wirrwarr bilden. Es ist anzunehmen, dass die Programme heute mehr aneinander angepasst sind, sodass ihre Ergebnisse besser übereinstimmen. Die Frage bleibt aber, ob sie das Wachstum zuverlässig vorhersagen können, besonders, wenn sich die Wirtschaft in einem labilen Zustand befindet.
Dem IS-LM-Modell, das in [1] an zentrale Stelle steht, wird lediglich ein einfaches Kreislaufmodell zugrunde gelegt, in dem die Einkünfte wieder vollständig zum Produktionsapparat zurückkehren, in Form von Konsumausgaben und Investitionen. Dort wird also naiv davon ausgegangen, dass die Investitionen I gleich den Ersparnissen S sind, was auch in den Namen IS-LM-Modell einging. (L steht dort für die Liquiditätspräferenz, M für die Geldmenge.)
Im Buch von Helge Peukert [3] werden dem Buch von Blanchard und Illing [1], das den heutigen Stand der Makroökonomik wiedergibt, viele Ungenauigkeiten und Widersprüche nachgewiesen. Die entscheidende Schwäche der heutigen Makroökonomik besteht darin, dass sie die Wirtschaft als ein zu mästendes Tier betrachtet. Und es werden alle Maßnahmen danach beurteilt, ob sie das Gewicht des Tieres, also das BIP, erhöhen, nicht erhöhen oder gar reduzieren. Eine Erhöhung gilt als heilbringend, weil man annimmt, dass die steigende Flut alle Boote nach oben hebt. Das führt dazu, dass der Politik nahezu von jedem steuernden Eingriff abgeraten wird. Dazu kommen die starken Widerstände aus der Wirtschaft selbst.
Hans Oette
Literatur:
[1] = Oliver Blanchard und Gerhard Illing, Makroökonomie, Pearson Deutschland, 5. aktualisierte Auflage 2009, 900 Seiten.
[2] = Jürgen Kromphardt, Grundlagen der Makroökonomie, 3. Aufl. 2005, Verlag Franz Vahlen.
[3] = Helge Peukert, Makroökonomische Lehrbücher: Wissenschaft oder Ideologie? Metropolis-Verlag 2018[4] = Hans Oette, Im Licht der Geldströme, Verrai-Verlag Stuttgart 2017